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Albert Heins, Ulrike S.

 

Paso doble – Ein Paar tanzt aus der Reihe

1983, 16 mm (1:1,33; auch als 35 mm-Kopie vertrieben), Farbe, 89 Min.

Regie: Lothar Lambert. Buch: Lothar Lambert unter Mitarbeit von Dagmar Beiersdorf nach einer Idee von Albert Heins. Regieassistenz: Dagmar Beiersdorf. Kamera: Helmut Röttgen, Rainer März. Ton: Michael Eiler, Jochen Isfort. Schnitt: Verena Neumann, Lothar Lambert, Doreen Heins. Licht: Rudolf Hartl. Mischung: Hannes Bojahr. Bühne: Triandafilos Tsiorakis. Maske: Roswitha Tischler. Script: Carola Schmige. Titelmusik: Albert Kittler (Text: Lothar Lambert, Gesang: Bruno Ferrari). Aufnahmeleitung: Wolfgang Krenz. Produktionsleitung: Jochen Bach, Irene Kraft. Produktion: Horizont-Filmproduktion GmbH in Coproduktion mit dem Norddeutschen Rundfunk (Redaktion: Eberhard Scharfenberg).

Darsteller: Ulrike S., Albert Heins, Carina Conti, Morteza Ghazanfari, Mustafa Iskandarani, Monika Keller, Jutta Klöppel, Beate Kopp, Stefan Menche, Paco Moreno, Dorothea Moritz, Maria Perera, Erika Rabau, Susanne Stahl, Semra Uysallar, Juan Vazquez, Christoph Wellemeyer u.a.

 

Kurzinhalt

Ein West-Berliner Paar hofft, seine Eheprobleme im Spanien-Urlaub lösen zu können. Stattdessen eskalieren bald darauf die Spannungen zwischen der sich vernachlässigt und unverstanden fühlenden Frau und ihrem genervten und auf andere Weise unbefriedigten Mann. Sie beginnt eine Affäre mit ihrem persischen Masseur, er verguckt sich – zwischenzeitlich nach Spanien geflüchtet – in einen stummen Toilettenwärter, den er nach Berlin mitbringt und bei sich und seinen beiden pubertierenden Kindern aufnimmt, derweil die Frau zu ihrem Masseur zieht. Doch auch die neuen Konstellationen geraten rasch in die Krise.

 

Inhalt (ENTHÄLT SPOILER)

Parallelmontage: Eine Frau kleidet sich vor einem Spiegel an, ein Mann rasiert sich vor einem Badezimmerspiegel, kleidet sich ebenfalls an, gesellt sich zu der Frau, ein halbwüchsiges Mädchen und ein gleichaltriger Junge sitzen wartend auf einer Couch. Die Frau sitzt auf der Toilette, putzt sich ab, geht, der Mann schimpft ihr hinterher, spült, stellt erst den einen, dann den anderen Fuß auf den Toilettendeckel, um sich die Schuhe zu putzen. Das Paar, nun ausgehfertig, verabschiedet sich von den feixenden Jugendlichen. [weiter]

 

Lothar Lambert erinnert sich (2009)

„Paso doble“ entstand in der Zeit mit Albert Heins. Er hatte Dagmar Beiersdorfs „Dirty Daughters“ gesehen und sich bei ihr gemeldet, weil er den so toll fand. So ist er in unsere Clique gekommen. Er war so ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen und hatte Kontakt zu einem Redakteur beim NDR, Eberhard Scharfenberg, mit dem er immer koproduzierte, und der dann auch Sachen von Dagmar und mir angekauft hat. Als „Paso doble“ entstand, war in West-Berlin gerade die Low-Budget-Förderung eingeführt worden. Und weil ich schon so viele Low-Budget-Filme gemacht hatte, wurde dieser auch ohne Vorlage eines Drehbuchs gefördert, ein Treatment reichte. Ein Budget von 300.000 Mark war für meine Verhältnisse zwar ziemlich viel, aber ich war ja nicht der Produzent, sondern hab lediglich 15.000 Mark Gage gekriegt, das war’s für mich. Alle Mitwirkenden wurden, anders als sonst, bezahlt, wenn auch mehr schlecht als recht. Wir haben dann immer versucht, eine Reise einzubauen. Ich reise zwar nicht gern, aber Dagmar wollte immer in den sonnigen Süden. Ulrikes Freund hatte ein Häuschen bei Benidorm, da haben wir gewohnt und auch gedreht. Privat fand ich Albert Heins unheimlich nett und war befreundet mit ihm, er konnte auch großzügig sein, und daß „Paso doble“ im großen Berliner Royal-Palast neben der Gedächtniskirche – der inzwischen abgerissen worden ist – seine Premiere feierte, das war der Ehrgeiz von Albert Heins. Aber grundsätzlich war bei seinen Produktionen eben Sparen angesagt.

In dem Treatment für die Förderung sollte sich der Ehemann noch in ein Zimmermädchen verlieben – ich wollte das Projekt nicht daran scheitern lassen, daß ich womöglich jemand in dem Gremium verstöre. Aber eigentlich war von vornherein ein Toilettenwart vorgesehen. Der mußte dann nicht nur stumm sein, damit nicht auffiel, daß der Darsteller gar kein Spanisch kann: Eigentlich macht es den Familienvater ja unsympathisch, daß er seine Frau mit einem Mann betrügt. Aber daß das so ein armer kleiner Stummer ist, läßt die Sache natürlich rührender erscheinen. Das macht es vielleicht auch glaubwürdiger, daß er den nach Berlin holt.

Der NDR-Redakteur hat mir noch etwas aus meiner Schlußmontage herausgeschnitten, wodurch diese völlig zusammengefallen ist: Der Ehemann geht ja zu einer Prostituierten und schlägt sie, und später hat sein von Stefan Menche gespielter Kollege auch etwas mit dieser Dame, an derselben Stelle im Tiergarten. Das war ein Schlußgag, aber stattdessen sieht man nun einfach noch einmal das Haus in Spanien von weitem. Das hat mich wirklich sehr, sehr gestört.

Generell war die Erfahrung für mich, daß das ganze Projekt nicht mehr meins ist. Je mehr Leute da herumwimmelten, je mehr Geld im Spiel war, desto weniger hatte ich das Gefühl, mich damit identifizieren zu können. Zum Beispiel kam ich den ersten Tag in den Schneideraum, da hatte die Cutterin schon einfach auf die Musik die Eingangsszene geschnitten und wollte mir das stolz zeigen. Ich hatte die Musik ohne Gesang für den Anfang vorgesehen, dann als Steigerung die gleiche Musik mit Gesang für den Schluß. Da war sie ganz entsetzt, daß ich sagte: Das geht nicht, tut mir leid. Ich bin gewohnt gewesen, über alles die Kontrolle zu haben und war dann irritiert, wenn sich Kostümbildner wichtig machten, alle möglichen Leute plötzlich das Sagen hatten, ich immer gezwungen wurde, etwas abzusegnen, was mich nicht interessiert hat. Auch Schauspieler, die kommen und fragen: Soll ich das anziehen oder das? – Das hat mich mein Leben lang genervt.

Ich hatte zu jener Zeit das Gefühl, daß ich keine billigen Filme mehr machen würde, ich wollte immer aufhören damit, hab es dann aber doch gebraucht, um diese anderen Produktionen zu ertragen: Schon „Der sexte Sinn“ war eigentlich keine Herzensangelegenheit mehr, und „Gestatten, Bestatter!“ sollte einen ganz anderen Regisseur haben, da wurde ich in letzter Minute engagiert und habe noch versucht, etwas von meiner Frechheit reinzubringen. „Fräulein Berlin“ hab ich vor „Paso doble“ angefangen und hinterher beendet, der ist also eigentlich parallel entstanden. Mit „Verbieten verboten“ bin ich dann endgültig zurückgekehrt zum „Underground“ – wenn man von „In Haßliebe Lola“ absieht. Albert Heins war gestorben, Eberhard Scharfenberg ist ein paar Jahre später in Pension gegangen, da war kein Ansprechpartner mehr da. Scharfenberg wollte ja noch „Die schöne Schande“ mit uns machen, das Drehbuch existiert noch, das war sogar öffentlich gefördert. Aber irgend jemand im Sender hat Einspruch erhoben, so verlief das im Sande, und den Hauptgag aus dieser Geschichte hab ich dann in „Verdammt in alle Eitelkeit“ verwendet.

 

Kritische Anmerkungen

Heute erscheint „Paso doble“ als nichts Besonderes mehr, im Gegenteil: Ein solcher Film könnte in jedem großen Fernsehkanal um 20.15 Uhr laufen, eine weitere leicht frivole Beziehungskomödie, welche der weiblichen Hauptfigur – da die Fernsehmacher aufs weibliche Publikum schielen – viel Verständnis entgegenbringt. Mit heutigen Augen betrachtet, fällt an „Paso doble“ nur auf, daß er nicht so hochglanzpoliert aussieht wie gängige Film- und Fernsehproduktionen, daß er offenkundig mit weniger Geld entstand.

1983 hingegen war allein schon Homosexualität in Film und Fernsehen alles andere als alltäglich. Konservative Sittenwächter witterten Unrat, bewegte Schwule begutachteten mit Argwohn, ob die Liebe zum eigenen Geschlecht auch ja – wie man heute sagen würde – politisch korrekt dargestellt wurde. An einem braven Kleinfamilienvater aus der materiell befriedigten Mittelschicht (in der damaligen Bundesrepublik eine Durchschnittsexistenz), der plötzlich seine schwule Ader entdeckt, und dennoch nicht das Interesse an seiner Frau verliert, dürften beide Gruppen keine rechte Freude gehabt haben.

Dabei sollte der Spanier, in den sich der Berliner verguckt, ursprünglich ganz konventionell eine Spanierin sein – zumindest wurde dies gegenüber der Filmförderung so dargestellt. Daß die Figur vor Drehbeginn das Geschlecht wechselte, machte die gesamte Handlung des Streifens bedeutend frecher, fast provokant. Und Lambert zeigte, daß er sich nicht verbiegen und Langweiliges, Austauschbares liefern wollte, in der vagen Hoffnung, auf diese Weise ein größeres Publikum anzusprechen und seine Karriere voranzubringen – letzteres nicht in künstlerischer Hinsicht, sondern um zum Fernseh- und Förderfilmregisseur zu avancieren.

Im Gegenteil: „Paso doble“ zielte zwar darauf, aus dem Ghetto des „Undergrounds“ und damit auch der Filmkunstkinos auszubrechen. Im Bereich der Lichtspielhäuser herrschte damals eine regelrechte Apartheid zwischen jenen, die Hollywood- und andere „Kommerzfilme“ zeigten, und jenen, die sich der – meist „irgendwie kritischen“ – angeblichen „Filmkunst“ verschrieben hatten. Daß die Premiere von „Paso doble“ im Berliner Royal-Palast (genauer: dem später ihm als Saal 2 zugerechneten, inzwischen ebenfalls abgerissenen Schwesterkino „City“) stattfand, einem der großen Uraufführungshäuser an der Gedächtniskirche, zeigt, wohin zumindest der Produzent Albert Heins mit diesem Film wollte. „Paso doble“ war ferner das bis dahin mit Abstand teuerste Lambert-Werk: Mit 300.000 Mark noch immer eine Low-Budget-Produktion, trotzdem kostspieliger als alle bis dahin entstandenen Filme des Regisseurs zusammen. Doch Lambert gelang es, neben dem Spiel mit sexuellen Präferenzen und Geschlechtsrollen (wozu auch die damals ebenfalls noch nicht recht gesellschaftsfähige Travestie zählt; die Szene mit den beiden Transvestiten in der Herrenbar taucht im übrigen, nur leicht variiert, noch einmal in „Drama in Blond“ auf) noch viele weitere für sein Filmschaffen typische Themen und Motive auch hier unterzubringen: Menschen mit psychischen Problemen (und psychosomatischen: Verspannungen, Migräne), welche mit sexuellen Sorgen verbunden sind und durch eine Befreiung der eigenen Sexualität gelöst werden, die zugleich wesentlich zur Selbstfindung beiträgt. Eine Frau, die sich von ihrem emotional behinderten Mann unverstanden fühlt (allerdings erscheint sie streckenweise auch als zickig und intolerant, ihr Mann nicht nur als Monster wie noch in „Tiergarten“ oder „Die Alptraumfrau“). Schematischer, zumindest für die Frau freudloser Geschlechtsverkehr. Selbstbefriedigung. Ein Rummelplatz. Posieren und Agieren vor dem Spiegel (hier bereits in der Vortitelsequenz). Figuren, die ein Gespräch – angesichts der Lautstärke gezwungenermaßen – mithören oder heimlich belauschen. Die erotische Verlockung des Südländers und dessen Hilfebedürftigkeit, zumindest in Deutschland. Und das Tanzen, welchem hier eine zentrale Rolle zukommt, worauf schon der Filmtitel hinweist: Die starren, vorgeschriebenen Schrittfolgen in der Tanzschule, einem Exerzieren gleich, lassen die schwelende Ehekrise eskalieren. Zuvor haben sich „Vaddel“ und „Muddel“ bei ihrem Versuch, im spanischen Lokal einen Paso doble hinzulegen, arg blamiert. Am Ende tanzen die Ehepartner frei und ungezwungen miteinander, wie es ihnen gerade in den Sinn kommt – und mit „vertauschten“ Kleidern ebenso wie teilweise mit vertauschten Rollen.

„Paso doble“ ist quasi ein „echter Lambert“ für alle, die düstere Bilder, asynchronen Ton und was der Tribute an die teure und schwer zu handhabende Filmtechnik noch waren, nicht ertragen können. Für die Entwicklung von Lamberts kinematographischem Werk ist dieser Streifen aber auch insofern wichtig, als er zwar noch nicht direkt eine Tragikomödie ist (wie es spätestens seit „Was Sie nie über Frauen wissen wollten“ alle Spielfilme Lamberts sind), aber doch mehr komische Elemente aufweist, als es bis dahin bei diesem Regisseur üblich war. Wohl nicht von ungefähr taucht hier zum ersten Mal eine neugierige, tratschsüchtige, auch mißgünstige und in jedem Falle spießige Nachbarin auf. Bezeichnenderweise ist dies zudem Lamberts erster Film, in dem keine Figur stirbt.

Als Vorreiter wirkt „Paso doble“ aber auch in seiner ideologischen Unbekümmertheit: Erst Mitte der achtziger Jahre begann der Siegeszug der Postmoderne, zu deren Grundsätzen „Anything goes!“ gehörte – die Überzeugung, daß alles mit allem kombinierbar ist und alles schön. Bis hin zu einem fröhlichen Hedonismus, der jeden nach seiner Façon selig werden läßt, ganz so, wie es in „Paso doble“ das für Lambertsche Verhältnisse einmal überraschend ungetrübte allseitige Happy End zeigt. Ausgerechnet dieses wurde zum Objekt eines lächerlichen Zensurschnitts: In der – Lambert-typischen – Schlußmontage war ursprünglich auch noch zu sehen gewesen, was aus dem Kollegen der männlichen Hauptfigur Erich geworden ist. Er vergnügte sich nun mit jener käuflichen Dame, bei der Erich rabiat geworden war. Ein kleiner Gag, durch den auch diese beiden Figuren am Ende noch einmal auftauchten.

J.G.